Pflanzen sind sesshaft – oder etwa nicht?
Teil 1: Einleitung und Ausbreitungsstrategien bei Gehölzen
Die Aussage „Pflanzen sind sesshaft im Gegensatz zu Tieren“ würde wohl fast jeder sofort bejahen, aber stimmt das denn? Tiere haben die Fähigkeit, aktiv den Ort zu wechseln. Deshalb sind sie auch beliebt, man kann ihnen zusehen und ihr Verhalten studieren. Pflanzen sind im Vergleich zu Tieren eher „langweilig“, denn nur bei den wenigsten Arten ist eine Bewegung erkennbar.
Pflanzen waren die ersten Lebewesen, die das Festland eroberten. Die Evolution hat sie mit Fähigkeiten ausgestattet, sich an geeigneten Stellen anzusiedeln und weiter auszubreiten. Wie sollten denn sonst riesige Waldgebiete entstanden sein? Wälder werden in unseren Breiten oftmals von nur wenigen Baumarten gebildet, beispielsweise von der Wald-Kiefer (Pinus sylvestris L.), deren Verbreitungsgebiet von Europa bis nach Asien reicht. Mit Hilfe flugfähiger Samen kann sie sich an neuen geeigneten Standorten ansiedeln.
Da die Wanderung von Pflanzen kaum in unserem Bewusstsein verankert ist, sollen hier einige Beispiele betrachtet werden. Bei einer „Expedition ins Pflanzenreich“ werden verschiedene Ausbreitungsstrategien behandelt. Lassen Sie uns diese gemeinsam erforschen!
Ausbreitungsstrategien, Ökologische Ausbreitungsklassen
Zur Klärung dieses Themas bietet das Pflanzenreich mit einer geschätzten halben Million Pflanzen-Arten viele Beispiele, denn die natürlichen Ausbreitungs-Strategien der Pflanzen sind vielfältig. Manche sind so ausgestattet, dass sie sich ohne „fremde“ Hilfe ausbreiten, andere nutzen unterschiedlichste Hilfsmittel, die beiden wichtigen Wege sind: Selbstverbreitung und Fremdverbreitung.
Unterschiede zwischen Gehölzen und krautigen Pflanzen
Gehölze: Bäume und Sträucher werden an eine Stelle gepflanzt oder sind durch Früchte oder Samen an einen Standort gelangt und wachsen an dieser Stelle. Sie können sich nur über Früchte und Samen – also generativ – ausbreiten. Eine vegetative Ausbreitung gibt es nur selten, beispielswiese bei Sträuchern mit unterirdischen Ausläufern, wie bei der gewöhnlichen Schneebeere (Symphoricarpus albus (L.) S.F. Blake) oder mit oberirdischen Wandersprossen bei der Brombeere (Rubus
fruticosus L.).
Krautige Pflanzen: Stauden und einjährige Pflanzen breiten sich durch andere Strategien aus. Bei Stauden sind vegetative Ausbreitungsstrategien durch Ausläufer, Rhizome, Knollen, Zwiebeln sehr häufig zu beobachten. Zusätzlich breiten sie sich durch Früchte/Samen aus.
Einjährige können sich nur durch Samen ausbreiten. Um sicherzustellen, dass sich genügend Nachkommen entwickeln und damit der Fortbestand der jeweiligen Art gesichert ist, werden Früchte mit Samen zumeist in großer Zahl gebildet.
Die wichtigsten Formen der generativen Ausbreitung bei Bäumen und Sträuchern sind:
- A. Selbstverbreitung – Autochorie: Fallvorrichtungen, oftmals mit Speicherverbreitung durch Nagetiere
- B. Fremdverbreitung – Allochorie: Oftmals durch Wind – Anemochorie
A. Selbstverbreitung (Autochorie)
Fallvorrichtungen, auch Schwerkraftwanderung: In unseren Breiten gibt es zahlreiche Laubgehölze, die große, relativ schwere Früchte bilden, die in den meisten Fällen nach ihrer Reife zu Boden fallen und in der Nähe des jeweiligen Baumes keimen. Mitunter kommen diesen Früchten Tiere zu Hilfe, die für den Transport an andere Stellen sorgen. So sammeln beispielsweise Eichhörnchen Nüsse, die sie an anderer Stelle als Wintervorrat vergraben und gelegentlich „vergessen“. Das zeigt, dass sich mitunter eine Kombination verschiedener Ausbreitungs-Strategien ergibt.
Als Arten mit schweren Früchten sind folgende Beispiele zu nennen: Rosskastanie, Esskastanie, Buche, Eiche, Haselnuss, Walnuss. Diese gehören in ganz unterschiedliche Verwandtschaftskreise, haben aber alle in ihren Samen große Vorräte an Speicherstoffen, die sich in Keimblättern – genannt Speicherkotyledonen – befinden. Die Keimung erfolgt unter der Erde oder einer Laubschicht – hypogäisch – die Kotyledonen bleiben in der Samenschale. Nur bei der Buche (Fagus sylvatica L.) erscheinen die etwas dicklichen Keimblätter über der Bodenoberfläche, die Keimung erfolgt epigäisch.
Die Gewöhnliche Rosskastanie (Aesculus hippocastanum L.), Familie der Rosskastaniengewächse (Hippocastanaceae): Sie bildet hohe Bäume mit ausladenden Baumkronen und schönen Blütenständen (Abbildung 1). Die Blütenstände bestehen aus zahlreichen Teilblütenständen, deren einzelne Blüten nacheinander aufblühen (Abbildung 2). Nur aus den unteren Blüten entwickeln sich nach der Bestäubung kugelförmige Früchte mit einer derb-fleischigen grünen Fruchtwand, die mit weichen Stacheln besetzt ist (Abbildung 3). Nach der Fruchtreife fallen die Früchte herunter und platzen auf. Dabei fallen die schönen, braun gefärbten Samen heraus, bleiben liegen oder rollen noch ein Stück weiter, je nach Beschaffenheit des Untergrundes. An den Samen ist ein großer weißer Fleck zu sehen, das ist die Ansatzstelle an der Fruchtwand (Abbildung 4).
Die Samen sind Kindern bestens bekannt, weil sie sich zum Basteln für „Streichholzfiguren“ besonders gut eignen. Die Samen sind mit zwei dicken Speicherkeimblättern, einer kleinen Wurzel und einer Sprossknospe ausgestattet. Bei der Keimung bleiben die Keimblätter in der Samenschale, nur die Wurzel wird herausgeschoben und etwas später ragt der junge Spross mit zwei Laubblättern heraus. Die relativ großen Jungpflanzen sind ganz leicht zu erkennen, weil die ersten Laubblätter den voll entwickelten Laubblättern in der Baumkrone ähneln (Abbildung 5).
Der Verwandtschaftskreis der Fagaceae, der in unseren Breiten mit wichtigen heimischen Laubholzpflanzen reich vertreten ist, zeichnet sich durch unscheinbare männliche Blüten, die in Kätzchenblütenständen beieinander stehen, und charakteristische Früchte aus, wobei diese meisten der Schwerkraft folgend verbreitet werden und auf den Boden fallen. Oftmals werden sie von Tieren, Eichhörnchen, Eichelhähern und kleinen Nagetieren für den Winter als Vorrat gesammelt und gelegentlich „vergessen“. Durch die Bedeckung mit Erde wird die Keimung deutlich begünstigt. Zu nennen sind folgende Baumarten: Esskastanie, Rotbuche und Eiche.
1. Die Esskastanie (Castanea sativa Mill.) ist in der Türkei, im Kaukasus, im Nord-Iran und in Nordwest-Afrika beheimatet. Sie wurde durch die Römer im Südwesten Deutschlands eingeführt und kultiviert. Von da ausgehend hat sie sich in sommerwarmen Gegenden – im Rheinmain-Gebiet – ausgebreitet. Sie entwickeln sich zu großkronigen Bäumen (Abbildung 6), die eine Höhe von 30 Metern erreichen können, mitunter werden sie in Parkanlagen in Dreiergruppen gepflanzt (Abbildung 7).
Die Esskastanien sind insekten- und windblütig, einhäusig und blühen erst am bereits belaubten Baum. Die männlichen Blüten sind durch ihr leuchtendes Weiß deutlich zu sehen, zudem stehen sie in Vielzahl an einer herabhängenden gestreckten Achse (Abbildung 8); sie zeichnen sich durch einen sehr strengen, charakteristischen Geruch aus und werden von Käfern und Bienen bestäubt. Die kleinen weiblichen Blüten stehen an der Basis der Blütenstände und tragen ein dichtes Kleid aus kleinen Stacheln (Abbildung 9) sind von einer Hülle, einer sogenannten Cupula umgeben, die sich durch sehr spitze Stacheln auszeichnet (Abbildung 10). Die stacheligen Fruchtstände brechen noch am Baum auf (Abbildung 11), fallen bei Reife herunter und öffnen sich mit vier Klappen (Abbildung 12). Die Früchte werden durch Nagetiere und Eichelhäher (Speicherverbreitung) in Vorratslagern versteckt, vergessen und keimen in dem Versteck.
Sie enthalten neben einer jungen Wurzel und einer Sprossknospe zwei dicke Speicherkeimblätter mit Fett und Zucker. Früher dienten sie auf dem Balkan und in der Schweiz als Grundnahrungsmittel, heute werden sie geröstet und bei uns auf Weihnachtsmärkten als Maronen angeboten.
2. Die Rotbuche (Fagus silvatica L.) ist in Europa vom Tiefland bis in die Alpen bis in Höhen von 1.500 Metern bestandsbildend weit verbreitet. Sie bildet im Wald schlanke, dicht beieinander stehende Bäume (Abbildung 13), im Freistand wachsend, zeigt sie sich als breitkroniger Baum (Abbildung 14).
Die männlichen Blütenstände sind kugelförmige Kätzchen, die herunterhängen (Abbildung 15), die weiblichen Blüten stehen zu zweit in einer struppigen Hülle, die als Cupula bezeichnet wird (Abbildung 16). Diese springt mit vier Klappen auf (Abbildung 17) und bei Reife fallen die Nussfrüchte, die als „Bucheckern“ bezeichnet werden, der Schwerkraft folgend zu Boden (Abbildung 18) und werden von Mäusen, Eichhörnchen und anderen Kleinsäugern für Wintervorräte gesammelt. Alle drei bis sechs Jahre werden bei der Rotbuche besonders zahlreiche Früchte gebildet, es wird von „Mastjahren“ gesprochen.
Bei der epigäischen Keimung der Rotbuche schieben sich aus den dreieckigen Bucheckern die stark gefalteten, etwas dicklichen Keimblätter und breiten sich Anfang April aus (Abbildung 19). Drei Wochen später sind zwischen den Keimblättern die ersten Laubblätter zu sehen (Abbildung 20).
Die Früchte enthalten bis zu 25 % fettes Öl, Blausäure und Glykoside. Werden die Samen in größerer Menge gegessen, können sie wegen dieser Inhaltsstoffe beim Menschen zu Vergiftungen führen.
3. Auch die Stiel-Eiche (Quercus robur L.) gehört zu den Kätzchenblütlern. Sie kann sehr alt werden, etwa 700 bis 1.000 Jahre, und im Freistand große breite Kronen bilden (Abbildung 21). Etwa Mitte April schieben sich aus den Winterknospen gleichzeitig mit den Blättern die männlichen Blütenstände heraus (Abbildung 22), sie sitzen zunächst dicht gedrängt an einer kurzen Achse an der Basis des Jahrestriebes. In den nächsten Tagen streckt sich die Blütenstandsachse, so dass die Blütenstände herabhängen (Abbildung 23). Sie vertrocknen bereits wenige Tage später und fallen herunter, wenn die Pollen die weiblichen Blüten, die bei der Stiel-Eiche an einem längeren Stiel (Name!) an der Spitze des Jahrestriebes stehen (Abbildung 24), bestäubt haben.
Die jungen Früchte sind zunächst völlig von einer Hülle (Cupula) umgeben, wachsen im Zuge des Reifungsprozesses aus diesem Becher heraus (Abbildung 25) und geben sich dann als Eicheln zu erkennen.
Etwa im Oktober liegen sie in großer Zahl am Boden (Abbildung 26). Bei der Eiche gibt es alle sechs bis zwölf Jahre besonders zahlreiche Früchte, man spricht dann von Mastjahren. Am Boden können sie keimen, gelegentlich werden sie aber von Kleinsäugern als Wintervorrat gesammelt und versteckt. Die Bedeutung der „Versteckverbreitung“ liegt vor allem darin, dass die Früchte in den feuchten Boden gelangen, wo sie am besten keimen. Dabei bleiben, nachdem sich die Wurzel aus der Fruchtwand herausgeschoben hat, die beiden Speicherkeimblätter weiterhin im Boden, währenddessen die junge Sprossachse an die Oberfläche wächst und sich schließlich die ersten Laubblätter zeigen, die bereits in ihrer Form an die typischen Laubblätter der Eiche erinnern (Abbildung 27).
4. Die Gemeine Haselnuss (Corylus avellana L.), Familie der Birkengewächse (Betulaceae), wächst in Europa als vieltriebiger Strauch (Abbildung 28) in krautreichen Laubwäldern, Hecken und Säumen auf frischen nährstoffreichen Böden, sie gedeiht in der Sonne und im Halbschatten.
Die männlichen Blüten entwickeln sich in Kätzchen, die schon im Herbst und Winter zu sehen sind (Abbildung 29). Bereits vor dem Laubaustrieb strecken sich die Kätzchenachsen und entlassen den reifen Pollen, sie sterben ab, lange vor dem Laubaustrieb (Abbildungen 30 und 31). Die weiblichen Blüten stehen in kleinen, unscheinbaren Knospen, aus denen nur ihre rotgefärbten Griffel herausragen. Erst im Juli sind die Haselnusssträucher voll belaubt (Abbildung 32). Zu diesem Zeitpunkt sind die Früchte, die Haselnüsse, umgeben von einer Manschette aus verwachsenen Vorblättern zu sehen (Abbildung 33). Sie fallen bei Reife der Schwerkraft folgend herunter und werden durch Eichhörnchen, Haselmäuse und andere Kleinsäugetiere
verbreitet.
Die Baum-Hasel (Corylus colurna L.) stammt aus Südosteuropa und Kleinasien. Sie wächst bei uns als breitkroniger Baum (Abbildung 34) und wird an Straßen und in Parkanlagen öfter gepflanzt. Ihre kleinen Früchte stehen zu mehreren in Fruchtständen und sind jeweils mit einer struppigen, verholzten Hülle umgeben (Abbildung 35).
5. Die Echte Walnuss (Juglans regia L.), Familie der Walnussgewächse (Juglandaceae), stammt aus dem östlichen Mittelmeergebiet und wächst als breitkroniger Baum (Abbildung 36), der eine Höhe von 25 bis 30 Meter Höhe erreicht. Sie wurde als Kulturpflanze bei uns angebaut, ist verwildert und wächst auf nährstoffreichen tiefgründigen Böden in milder Klimalage bis in Höhen von 700 Metern.
Im April entwickeln sich die weiblichen Blüten mit einem unterständigen Fruchtknoten, an dessen Spitze papillöse Narbenlappen stehen (Abbildung 37). Zu diesem Zeitpunkt sind die männlichen Kätzchen voll entwickelt (Abbildung 38). Die Pollen werden zur Bestäubung durch den Wind auf die Narbenlappen der weiblichen Blüten getragen. Nach der Befruchtung entwickeln sich die gut bekannten und beliebten Walnüsse (Abbildung 39), die zunächst von dem äußeren, grünen Teil der Fruchtwand umgeben sind. Bei Fruchtreife öffnet sich die grüne Fruchtwand und sichtbar wird der innere braune Teil (Abbildung 40). Im Inneren entwickelt sich der markant geformte Samen. Die Früchte fallen der Schwerkraft folgend herunter, auch hier sorgen Eichhörnchen und andere Tiere durch die Anlage von Vorratskammern wesentlich zur Verbreitung – Versteckverbreitung. Gelegentlich werden einzelne Früchte vergessen; dann sind junge Walnusspflanzen im Gelände zu finden.
Fazit
Zahlreiche unserer einheimischen Bäume bilden schwere Früchte, die meist reichlich Speichergewebe in ihren Samen haben. Im Zustand der Fruchtreife fallen sie vom Baum und hüpfen oder rollen, insbesondere in Hanglagen, noch ein Stück weiter.
Fast alle beschriebenen Arten sind „Dunkelkeimer“ mit hypogäischer Keimung. Sie werden von Kleinsäugern und auch Vögel in „Vorratskammern“ getragen und gelegentlich vergessen. Dort entwickeln sie sich von Laub oder etwas Erde bedeckt, zu einem neuen Baum. Durch diese Kombination der Ausbreitung wird die Sesshaftigkeit aufgehoben und die neuen Bäume entwickeln sich zumeist an geeigneter Stelle. Ohne „Hilfe“ durch Kleinsäuger keimten die Früchte/Samen unter dem jeweiligen Baum, eine Ausbreitung an umliegende Stellen wäre so gut wie ausgeschlossen.
Bei Haselnüssen und Walnüssen sammeln die Menschen die Nüsse zu ihrer eigenen Verwendung, deshalb sind Keimlinge und Jungpflanzen im urbanen Raum seltener zu finden.
Autor: Dr. Isolde Hagemann | Greenkeepers Journal 4/2024
Literatur
VAN DER PIJL, L., 1982: Principles of Dispersal in Higher Plants. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York.
HECKER, U., 2023: Ausbreitungsbiologie der Höheren Pflanzen – Eine Darstellung auf morphologischer Grundlage. Springer Spektrum.